Leben als Selbstversorger – eine Bilanz

Wer kennt nicht diese Vorurteile über Selbstversorger :

erntebild kita- weltfremde, baumumarmende Veganer, die im eigenen (Haus)Garten ihr Obst und Gemüse ziehen, ihre Tomaten besingen und im Winter von Himbeer-Rhabarber-Marmelade und Bio-Dinkelbrot leben

oder

- urige, Selbstversorger-Bauern, die ihren Hof noch wie zu Ur-Ur-Omas Zeiten bewirtschaften, Internet nur aus den Erzählungen der Enkel kennen und sich zum Mittag Rührei mit Tomaten und Brot aus eigener Herstellung schmecken lassen

Wie so oft im Leben liegt die Wahrheit über das Selbstversorgerdasein irgendwo dazwischen. Zwischen Tiere essen und Fleisch ablehnen, traditionell und trendgesteuertem Essen, Bauernhof und Großstadt-Garten, altem Handwerk und moderner Technik.

Sich selbst versorgen, heißt unabhängig sein. Es bedeutet aber nicht, dass Selbstversorger völlig abseits der (Konsum)-Gesellschaft und 100% von eigenen Erzeugnissen leben.
Selbstversorger ist bereits, wer seine Tomaten auf dem Balkon anbaut, sich eine Schar Hühner im Hof hält, im Schrebergarten Obst und Gemüse anbaut, in der Großstadt auf Dachgärten imkert oder einen Teil seiner Energie mit der Solaranlage auf dem Dach gewinnt.

Das Selbstversorgerdasein hat die Groschenhexe schon immer begleitet: als Kind im Schrebergarten von Eltern und Großeltern, später beim Mundräubern als Studentin, beim Bepflanzen der Balkonkästen mit Kräutern während der ersten Schwangerschaft, bis heute, wenn sie zusammen mit der eigenen Familie im Pachtgarten und auf der Terrasse Obst und Gemüse anbaut.

IMG-20180817-WA0003Auf ihrer Webseite „predigt“ die Groschenhexe einen nachhaltigen Lebensstil, umweltbewusstes Handeln, Geld sparen im Alltag u.a. durch Selbstversorgung u.v.m.
Doch wie sieht das echte Leben im Groschenhexe-Haushalt aus?
Was verbirgt sich hinter den (sorgsam arrangierten?) Gartengemüse-Fotos, den typischen Hausfrau-Rezepten und DIY-Anleitungen?
Lebt die Groschenhexe-Familie wirklich so nachhaltig, selbstversorgend und Geld sparend, wie es die Leser glauben möchten?

Wer das herausfinden wollte, müsste wohl 24 Stunden am Tag, 365 Tage lang im Groschenhexe-Haushalt leben – könnte schwierig werden!
Also bleibt wohl nur eine kleine, selbstkritische Eigenbilanz.

Bilder sagen mehr als Worte, daher seht ihr hier ein Foto unseres heutigen Abendbrot-Tisches.WP_20190708_19_28_41_Pro

So sieht vielleicht nicht jeden Tag der Esstisch aus, aber im Sommer zur Erntezeit sieht er für gewöhnlich so bzw. so ähnlich aus.

Stellt man sich die Frage „Was davon stammt aus Selbstversorgung?“ stellt es sich folgendermaßen dar:tisch2Ihr seht: 100% des Abendessens kann die Groschenhexe-Familie nicht selbst produzieren, zumal im Pachtgarten keine Tierhaltung erlaubt ist. Tierische Produkte, wie Milch, Butter, Käse oder Wurst müssen also gekauft werden. Obst, Gemüse, Getränke und Marmeladen kann die Groschenhexe aber Dank Garten und Terrasse selbst zum Esstisch beisteuern.

Wenn nicht selbst, dann direkt vom Erzeuger kaufen! Aus nachhaltiger Sicht, wäre das der nächste, logische Schritt. Schauen wir mal, was der Essentisch da zu bieten hat:tisch3Immerhin ein Produkt! Wer direkt beim Erzeuger kauft, weiß genau, wie und wo das Produkt hergestellt wurde und kann dem Hersteller auch einen fairen Preis dafür zahlen.

Preis ist das Stichwort! Nachhaltigkeit hin oder her, bei knapper Haushaltskasse muss man auch beim Einkauf genau auf das Geld achten. Schnäppchen, Sonderpreise, Großpackungen, Preisvergleiche, Zutaten statt Fertigprodukt…mit vielen Möglichkeiten lässt sich Geld beim Einkauf sparen. Hat die Groschenhexe (zumindest) daran gedacht?

tisch4Auch wenn man weder die Zutaten selbst anbaut hat, selber Backen ist bei Brot billiger als ein fertiges Massenprodukt kaufen und allein schon der Geruch des frischen, heißen Brotes ist ein Genuss! Mit Fertigmischungen kriegen das auch Backmuffel und Anfänger hin, und wenn es mal schnell gehen muss, sind diese auch komfortabel.

Wenn es mal schnell gehen muss…eigentlich muss es oft schnell gehen, ist der Alltag stressig und der Arbeits- und Zeitaufwand für eine Schale Erdbeeren höher, wenn man sie selbst anbauen und ernten muss. Schnell im Supermarkt eine Packung Beeren in den Einkaufswagen legen ist einfacher und geht schneller. Bequemlichkeit, Zeitmangel, …, aber auch einfach mal keine Lust und Kraft für ein 100% nachhaltiges, Geld sparendes, müllfreies Alltagsleben kennt auch die Groschenhexe und stellt sich daher (eurer) berechtigten Kritik:

tisch5Warum predigt die Groschenhexe ein plastikfreies, nachhaltiges und umweltfreundliches Leben und zeigt euch dann den Beweis, dass es bei ihr nicht so ganz klappt?
Weil es nun einmal wahr ist!
Niemand ist perfekt! Nicht immer klappt alles wie gewünscht oder geplant! Manches lässt sich nicht von heute auf morgen komplett ändern! Und wie so oft im Leben begnügt man sich dann mit Kompromissen.

Das Kind hängt an seinem quietschbunten Plastikbecher oder die alten Vorratsdosen durch Metall bzw. Glas zu ersetzen ist sehr teuer? Okay, dann ist halt nicht alles plastikfrei! Alle im Haushalt lieben den preiswerten Dosenfisch? Nagut, ab und an, darf der auch mal gekauft werden! Das Auto ist in der Werkstatt und die Milchtankstelle zwei Orte entfernt? Die Glasflaschenmilch im Supermarkt sprengt die Haushaltskasse? Nunja, dann geht halt nicht immer alles zerowaste! Immerhin spart man die Spritkosten und Abgase, die der Milchtankstellen-Trip gekostet hätte. (Das Fahrrad ist bei bergigem Gelände und zwei Kindern im Schlepptau keine Option!)

WP_20180901_19_29_43_ProUnd welche Bilanz ziehen wir alle am Ende dieses Artikels?
Ist das Selbstversorger-Dasein eine Utopie?
Ist das selbstdarstellerische, missionarische, scheinbar perfekte Bild, dass Blogger, Influencer, You-Tuber, Webmaster, Aktivisten und Engagierte von sich und dem Selbstversorger-Sein zeigen nur Fake? Einseitige Berichterstattung? Inszenierung? Doppelmoral?

Vielleicht. Vielleicht ist es einfach zu schwer, manchmal zuzugeben, dass man es selbst nicht (ganz) schafft! Es ist einfacher zu sagen „Macht das so! Das ist gut, nachhaltig, sozial und am besten!“ anstatt hinzuzufügen „Aber oft schaffe ich es auch nicht!“ Und so eine Message will der Leser/Hörer/Zuschauer ja auch nicht hören, oder?

Selbstversorger sein ist eine Bereicherung – nicht nur für den Esstisch! Aber es kostet auch Zeit, Nerven, Geduld, manchmal auch Geld, Arbeitskraft und seelische Kraft! Das weiß die Groschenhexe, das weiß jeder, der es selbst versucht! Aber es ist uns das allen wert! Mit jeder Kleinigkeit, die wir selbst geschafft haben, fällt es uns leichter über die anderen Momente hinwegzusehen, in den wir nicht ganz so perfekt sind, wie wir es gerne hätten! Also versucht es auch!WP_20170816_16_13_02_Pro